Mini-Röhre Korg Nutube 6P1
(R)Evolution?!
Eine Röhre ist eine Röhre ist eine Röhre. Die Diskussion über „Röhre oder Halbleiter“ dürfte mutmaßlich auch nach unser aller Ableben noch Bestand haben. Abgesehen davon, daß solche anregenden „Pro und Kontra“- Gespräche auch Spaß machen, schauen wir uns eine komplett neue Mini-Röhre namens 6P1 genauer an. Zur Erinnerung ein paar Anmerkungen zur Funktionsweise eines klassischen Glaskolbens: in einer Röhre „versucht“ eine Gruppe von Elektronen von der negativen Kathode zur etwas entfernt dazu befindlichen positiven Anode zu gelangen. Das ist zunächst einmal nicht möglich, weil der Abstand zwischen Kathode und Anode zu groß ist. Wenn ich die Kathode erhitze, können sich die Elektronen von der Kathode lösen und auf den Weg machen, theoretisch zumindest. Das Problem ist, sie kollidieren ohne weiteren Schutz mit den Luftmolekülen zwischen Kathode und Anode. Also werden Kathode und Anode in eine Glasröhre gesteckt, die Luft heraus- gelassen und schon habe ich eine Vakuumröhre. In die- sem Falle hätten wir jetzt eine Diode, die in den Zeiten vor der Allgegenwart der Halbleiter zur Gleichrichtung von Strom oder in Empfangsgeräten eingesetzt wurde. Was die Diode allerdings nicht kann, ist den Fluß der Elektronen zu kontrollieren.
Kathode und Anode
Eine Röhre soll prinzipiell den Stromfluß durch eine parallel angelegte Spannung kontrollieren. Damit das funktionieren kann, werden Kathode und Anode wieder ein wenig weiter voneinander entfernt, bis auch im Vakuum so gut wie kein Strom mehr zwischen beiden Elektroden fließt. Die Elektronen an der Kathode haben zwar immer noch das starke Bedürfnis „auf die andere Seite“ zu gelangen – weil der Abstand aber zu weit ist, fallen sie, salopp gesagt, runter. Die Lösung ist ein Gitter, das zwischen Kathode und Anode positioniert wird. Das wird unter Spannung gesetzt. Schon ab einer sehr kleinen Spannung schaffen es jetzt einige Elektronen von der Kathode durch das Gitter zur Anode zu fließen. Wir haben eine Triode! Wenn ich die Spannung am Gitter erhöhe, werden immer mehr Elektronen in der Röhre fließen können. Ich kann also den Stromfluß durch Änderung der angelegten Spannung steuern. Es gibt aber eine Maximalzahl an Elektronen, die so von Minus zu Plus fließen können. Wenn dieser individuelle Wert der jeweiligen Röhre erreicht ist, geht sie in die Sättigung und der dadurch entstehende Einfluß auf den Klang ist es, den wir als Röhrenfans so mögen. So eine Triode, zum Beispiel in Form einer Doppeltriode wie der ECC83 (amerikanische Bezeichnung 12AX7), ist die einfachste Bauform einer Röhre mit eben jeweils den genannten drei Elektroden. Gibt es vier Elektroden, sprechen wir von einer Tedrode und bei fünf Elektroden (da sind dann insgesamt 3 Gitter im Einsatz) nennen wir es Pentode. Soweit alles bekannt.

Neue japanische Wege
Die 6P1 ist nun eine neue Art von Doppeltriode mit weniger Energieverbrauch, kompakten Abmessungen und höherer Lebensdauer. So jedenfalls geben es die Entwickler ihrem ebenfalls „glimmenden“ Bauteil mit auf den Weg. Hinter der 6P1 beziehungsweise der NuTube stecken der japanische Synthesizerspezialist Korg und die ebenfalls aus Japan stammende Firma Noritake Itron (Noritake Co., Limited), die eigentlich Vakuumfloureszenz-Displays herstellt. Korg hat vorher nicht nur in einigen Synthesizermodellen Erfahrungen mit Röhren gemacht, sondern auch und vor allem mit seiner Marke Vox, die für ihre Gitarrenverstärker weltweit bekannt ist. Die Idee hinter der 6P1 war es, eine Röhre zu entwickeln, die eben keine große Bauform, keinen hohen Verschleiß und keine hohe Wärmeentwicklung hat und gleichzeitig wesentlich weniger Energie benötigt, aber genauso klingt wie eine klassische Röhre.
Vakuumfloureszenzanzeige
Das Ergebnis ist eine Art Doppeltriode mit einem Heizdraht (direktbeheizte Kathode), einem Gitter und einer Anode in einem Vakuumglasbehälter. Die direktbeheizte Kathode ist ein Element, das bei der Herstellung von Vakuumfluoreszenzanzeigen seitens der Firma Noritake Itron bereits in der Vergangenheit genutzt wurde und im Falle der NuTube als negative Elektrode eingesetzt wird. Durch die Erhitzung der Kathode werden die Elek- tronen durch das Gitter „auf die Reise“ zur Anode geschickt. Das eben schon angesprochene „Glimmen“ der Anode ist ebenfalls ein Effekt, der den Genen eines Vakuumfluoreszendisplays entstammt, denn dort werden bei der Produktion die Anoden mit einer Leuchtstoffschicht bedeckt, die beim Auftreffen der Elektronen anfängt, zu glimmen. So hat man sozusagen auch eine optische Betriebskontrolle und es handelt sich keinesfalls um ein Gimmick, das lediglich einem kosmetischen Zweck dient.
Einsatzbereit
Wenn man sich auf einschlägigen US-Seiten umsieht (wie z.B. www.pmillett.com), erkennt man, daß das Ganze auch einen gewissen Preis hat. Derzeit werden circa 50 US-Dollar für eine 6P1 aufgerufen, zumindest wenn man Endkunde ist. Auf der anderen Seite läßt sich diese Röhre problemlos auf einer Platine einsetzen, die Schaltung kann sogar mit Akkus oder Batterien betrieben werden ()inzwischen gibt es einen tragbaren HiRes-Spieler von Cayin mit NuTube) und die Lebensdauer liegt laut Hersteller bei 30.000 Stunden im Dauerbetrieb. Da muß eine 12AX7 passen, die man aufgrund des Verschleißes ohnehin in einen Sockel „verpflanzen“ und nicht direkt auf die Platine löten würde. Die 6P1 benötigt etwa 2 Prozent der Energie einer herkömmlichen Röhre. Bei diesen ist die benötigte Spannung oft wesentlich höher und dementsprechend nur von Fachleuten in eine Schaltung zu integrieren.
Technische Details
Hier noch ein paar technische Details: Die 6P1 arbeitet mit Versorgungsspannungen zwischen 5V und 80V. Die maximale Gitterspannung liegt bei 5 Volt. Die Anode hat eine Verlustleistung von gerade mal 1,7 Milliwatt. Die Heizung läuft bei nur 0,7 V und 17mA pro Kanal und wird daher nicht wirklich heiß, wie es bei einer klassischen Röhre geschieht. Damit verbunden ist auch ein konstruktiver Vorteil, denn durch die geringere Hitze des Bauteils läßt es sich besser gegen schlechte Einflüsse von Vibrationen schützen. Es verringert sich also die Mikrophonieanfälligkeit. Insgesamt verstärkt die NuTube das Eingangssignal 6-fach und kommt in Vorstufenschaltungen zum Einsatz. Ich habe mir von der Korg-Tochter Vox einen kleinen Gitarrenverstärker kommen lassen, genauer gesagt einen Vox MV-50 Clean. Hier sorgt die 6P1 eben für die Verstärkung (und Klangformung) innerhalb der Vorstufe, die Endstufe der MV50-Baureihe ist in Class-D-Technik ausgeführt. Der etwa handtellergroße Gitarrenverstärker kommt in einem stabilen Gehäuse mit Metallbügel und einer durchsichtigen Raute im Deckel daher. Die gibt den Blick frei auf die hier verwendete NuTube 6P1, die sofort nach dem Einschalten aufleuchtet. Dabei erinnert sie mich optisch ein wenig an die früher in Röhrenradios üblichen „Magischen Augen“. Daß es zwei leuchtende Elemente gibt, liegt an dem Doppel-Aufbau, der eben zwei Trioden in diesem Glasgehäuse unterbringt. Was da leuchtet, sind die flachen Anoden, die mit der angesprochenen Leuchtstoffschicht bedeckt sind und anfangen zu leuchten, sobald Elektronen auf sie treffen.

Ganz analog
Ich habe extra die „Clean“-Version des MV50 geordert, die im Gegensatz zu den Geschwistern der Baureihe (AC und Rock) einen größeren Headroom für unverzerrte Klänge bietet und somit auch eher einen Rückschluß auf die Einsatzmöglichkeiten im HiFi-Bereich zuläßt. Schließt man eine klassische Doppelspuler-Gitarre in Les-Paul-Tradition an den Vox an, fällt zunächst einmal auf, daß hier nichts rauscht! Zur Kontrolle nutze ich den HIFIMAN HE400i (Bericht in dieser Ausgabe) und einen AKG K271 MKII Kopfhörer, der schon lange Zeit gute Dienste in meinem kleinen Heimstudio leistet. Denn neben dem Endstufenausgang für einen externen Gitarrenlautsprecher liefert der MV50 Clean sein Signal auch an eine vollwertige 6,3-Millimeter-Kopfhörerbuchse. Der Klang läßt sich als klar, offen und mit einer gewissen Glockigkeit beschreiben. „Chimey“ wie die Gi- tarristen sagen. Dabei bleibt das Signal über einen weiten Volumenbereich klar und erst im oberen Drittel setzt die bei Gitarrenverstärkern gewünschte leichte Andickung des Signals, also eine leichte Klangkompres- sion ein. Der Weg dahin ist fließend. Man merkt, daß wir es hier mit einem echten analogen Bauteil zu tun haben, daß tatsächlich der Ansprache meines kleinen einkanaligen Röhrenverstärkers (mit einer 12AX7 Röhre in der Vorstufe) sehr ähnlich ist. Diese Röhrensättigung bei höheren Lautstärken, das schmatzende Ansprechen der Saiten, das eben bei Röhren so typisch ist, liefert auch die 6P1 im Vox-Verstärker ohne Abstriche. Das Spiel auf dem Instrument wird durch die Reaktion des Verstärkers auf die Spieldynamik unterstützt. Ein Ergebnis, das die immer besser werdenden digitalen Modelling-Verstärker nachahmen, aber meines Erachtens noch nicht in allen Spielsituationen authentisch nachbilden können. Die NuTube im MV50 Clean muß das nicht nachbilden, denn sie verhält sich technisch und auch klanglich wie ein klassischer Glaskolben. Das Bauteil reagiert auf das eingehende Signal, ganz natürlich, ganz analog, ganz ohne digitale Verzögerungen und Rechenprozesse.
Fazit
Die klassischen Vakuumröhren werden heute noch größtenteils in Produktionsanlagen aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts gefertigt. Das bedeutet einen hohen Ausschuß und eine große Qualitätsstreuung, was wiederum für Folgekosten beim Abgleich der Röhren für den jeweiligen Verstärker sorgt. Darüber hinaus ist die Energieeffizienz nach wie vor nicht wirklich überzeugend. Diese Ausgangssituation ist die Motivation hinter der NuTube 6P1 gewesen. Neben der wesentlich höheren Lebensdauer (30.000 Stunden) und dem geringeren Energieverbrauch, der auch akkubetriebene Schaltungen möglich macht, hat die Übertragung des Know-Hows aus der Vakuumfloureszenzanzeigentechnik auf den Audiobereich durch die japanischen Entwickler eine rundum funktionierende und in Serie produzierte Vakuumröhre für das neue Jahrtausend hervorgebracht. Ich bin sehr gespannt auf erste hochwertige Verstärker im High-End-Segment, die sich dieser japanischen High-Tech-Röhre bedienen und damit eine der wirklich echten Neuentwicklungen im Audiobe- reich der letzten Jahrzehnte auch bei audiophilen Menschen salonfähig machen.
Informationen im Internet:
Frank Lechtenberg
Dieser Text ist zu finden in HiFi-Stars Ausgabe 36.
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